Die ganze Geschichte.

rh:ool ist ein absolutes Herzensprojekt. Ich liebe Wolle, schon immer: ihren Geruch, ihren Griff, ihre Vielfalt, ihre tollen Eigenschaften. Und dabei ist es mir auch egal, ob ich schmuseweiches Merino oder rustikales Herdwick in den Händen halte, für mich sind sie alle wunderbar.

Da liegt es nahe, dass ich mir irgendwann (genau genommen 2019) die Frage gestellt habe, was eigentlich mit der Wolle der doch recht zahlreichen Schafe auf den Düsseldorfer Rheinwiesen passiert. Und wie findet man sowas raus? Ist ja nicht so, dass da immer ein Schäfer dabeisteht, den man fragen könnte. Ich habe also die Stadt Düsseldorf angeschrieben, mein Anliegen geschildert und sie gebeten, den Kontakt herzustellen. Und etwa eine Woche später hatte ich eine Mail vom “Schäfer vom Rhein” Albert Görsmeyer, er habe gehört, ich sei an seiner Wolle interessiert.

Wir haben telefoniert, ich habe ihm etwa tausend Fragen gestellt und ich bin ziemlich sicher, dass er mich für ziemlich verrückt hielt (daran hat sich vermutlich bis heute nichts geändert). Da unser Telefonat nach der Schur stattfand, haben wir uns fürs Folgejahr verabredet, ich solle mich im April wieder melden.

Dazu sollte es aber nicht kommen, denn es kam etwas anderes: Corona. Mitten zwischen Kontaktbeschränkungen, Unsicherheit, Home Office und der Sorge um die Gesundheit meiner Lieben konnte ich mir so ein Projekt einfach nicht vorstellen. 

Als ich aber 2021 ein dreimonatiges Sabbatical plante, bekam ich den Gedanken “Wenn nicht jetzt, wann dann” einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich rief also Albert wieder an, und er erinnerte sich sogar. Diesmal sprachen wir detaillierter: 

Ich: Was haben Sie denn so für Schafe?

Albert: Hauptsächlich Rhönschafe.

Ich: Und was passiert mit deren Wolle? 

Albert: Die holt ein Wollhändler ab und dann geht die nach China zur Weiterverarbeitung. Vermutlich wird Dämmstoff oder sowas draus.

Ich: Ach, herrje, die schöne Wolle! Was bekommen Sie denn dafür?

Albert: 20 Cent pro Kilo. Außer für die dunkle Wolle, für die bekomme ich gar nichts, da kann ich froh sein, wenn die die kostenlos mitnehmen.

Ich: Ooookay, könnte ich die dann vielleicht bekommen? Ich bezahl auch besser!

Albert: Sie können so viel haben, wie Sie wollen.

Ich: Wieviel dunkle Wolle haben Sie denn so, in Kilo?

Albert: Ach, das werden wohl so 300 Kilo sein.

Da musste ich das erste Mal kurz schlucken. Mit so viel hatte ich nicht gerechnet, eher so mit 50. Aber während mein Frontalkortex noch mit Bedenken beschäftigt war, hörte ich meine Amygdala schon sagen: “Ja, ok, die würd ich wohl nehmen.”

Und dann nahm das Ganze seinen Lauf.

In Deutschland eine Spinnerei zu finden, die unter 500 Kilo (oder über 50 Kilo) überhaupt anfängt zu arbeiten, war nicht so einfach. Auch die Art der Faser kann nicht jede Spinnerei verarbeiten: Rhönschafe produzieren relativ lange Fasern, was nicht jede Maschine verarbeiten kann. Nach ein paar Telefonaten (unter anderem einem einstündigen mit Herrn Dickel von der Spinnerei Dickel, in dem wir zusammen in der Großartigkeit von Wolle schwelgten) landete ich bei den Wagenfelder Spinnereien. Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass man dort alles verspinnen lassen kann, solange man es in ausreichender Menge anliefert.

Dort sprach ich mit Herrn Beck, der mir in dem ganzen Projekt eine Riesenhilfe war: Geduldig beantwortete er alle meine Fragen, gab mir Tipps und erfüllte mir all meine Sonderwünsche. Von ihm erfuhr ich dann leider auch, dass man Wolle in der Spinnerei nur gewaschen anliefern kann und dass es in Deutschland keine Wollwäscherei mehr gibt. “Probieren Sie es mal bei Herrn Regensburger in Österreich.”

Alles klar. Die Wollwäscherei Regensburger (oder auch Das Ötztaler Schafwollzentrum) ist ein ziemlich vielfältig aufgestellter Familienbetrieb, und dort zuckte niemand mit der Wimper, als ich mit 300 Kilo Rhönschafwolle drohte. 

Ich: Und kann ich die einfach ab Schaf bei Ihnen anliefern?

Claudia: Naja, wir waschen, was Sie anliefern. Vorsortieren müssen Sie selber.

Ou ha. Da kündigte sich eine steile Lernkurve auf allen Ebenen an. Ich hatte wohl schon mal das ein oder andere Vlies sortiert (also Wollstücke entfernt, die sich nicht verarbeiten lassen, z. B. die Wolle vom Po oder den Beinen, die häufig sehr kurz und auch sehr verdreckt ist), aber 300 Kilo? Nun ja, mitgehangen, mitgefangen, es gab ja keine Alternative (auch wenn ich zugeben muss, dass ich kurz versucht habe, jemanden zu finden, der diesen Schritt übernehmen könnte, aber damit kläglich gescheitert bin).

Ok, die Lieferkette stand. Nun hieß es auf die Schur warten.

Ich besorgte mir einen provisorischen Sortiertisch und rechnete aus, dass ich wohl so etwa vier Vliese pro Stunde sortieren könnte. Dass ich pro Schaf länger brauchen könnte als 15 Minuten, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.

Am Tag der Schur trat ich also auf den Rheinwiesen mit meiner “Ausrüstung” an und fand mich inmitten von etwa 450 Schafen und ihren Lämmern wieder. In der ersten Stunde fand ich ihr Blöken noch lustig und niedlich, 10 Stunden später sah das schon etwas anders aus ;) 

Die Schafe wurden von zwei jungen Männern direkt am Rheinufer geschoren und zwar blitzschnell. Das ist zwar gut für das Schaf, aber schlecht für die unerfahrene Wollvliessortiererin! Am Ende des Tages hatte ich ganze zehn Vliese sortiert. Zehn! Glücklicherweise ist Albert ein sehr entspannter Schäfer und bot mir an, er könne den Rest mit auf seinen Hof nehmen und ich könne dort wann immer ich wollte, weitersortieren. Und das tat ich dann auch. Ich telefonierte noch mal mit Herrn Beck und fragte, wie gründlich die Vliese denn nun wirklich sortiert sein müssten, weil ich bis dato jede Klette aus der Wolle gefummelt hatte. Stellte sich raus: Das geht auch beim Krempeln raus. Nur faustgroße Steine und Turnschuhe sollte ich raussortieren, die hätten sie auch schon mal in einer Lieferung (gewaschener Wolle wohlbemerkt!) gefunden. 

Von da an ging das Sortieren deutlich schneller. Teilweise stand ich um 6 Uhr auf, weil ich es nicht erwarten konnte, meine Hände wieder in dem wolligen Glück zu versenken, aber wer sich jetzt romantische und entspannte Stunden mit tollem Material vorstellt, den muss ich enttäuschen: Wolle sortieren macht zwar Spaß (wenn man Wolle mag), ist aber wahnsinnig anstrengend und auch eine Riesensauerei (an dieser Stelle noch mal tausend Dank an Jule von Woollentwine, die mich schon vorwarnte: “Du wirst bis auf die Haut mit Lanolin getränkt sein”), vor allem das Stopfen der Wolle in die Wollsäcke stellte sich als zeitaufwändigster und anstrengendster Schritt heraus. Nach ein paar Tagen merkte ich plötzlich: Es sind keine dunklen Vliese mehr da. Von 300 Kilo war ich aber noch weit entfernt, mit Glück hatte ich etwa 50 Kilo zusammen. Ich hatte aber überall 300 Kilo angekündigt und Herr Beck hatte mir recht deutlich zu verstehen gegeben, dass ich schon mindestens 100 Kilo anliefern sollte, weil sich das für mich sonst nicht mehr rentieren würde. Ich stiefelte also zu Albert: “Gibt’s noch irgendwo dunkle Wolle, die ich nicht gefunden habe?” “Nö, mehr gibt’s nicht.” “Hm, ich brauch aber 300 Kilo - kann ich mit weißer Wolle auffüllen?” “Klar” (Albert ist kein Freund vieler Worte ;) )

Etwa drei Wochen später war es dann soweit: Fünf sehr prall gefüllte Wollsäcke à ca. 55 Kilo wurden abgeholt und nach Österreich gefahren.

Jetzt begann das große Warten. Mir war schon von allen im Vorhinein mitgeteilt worden, dass es dauern könne, sowohl das Waschen als auch das Spinnen. Also übte ich mich in Geduld. Und etwa 8 Monate später sitze ich nun hier mit meinem eigenen Garn: rh:ool.

Ich finde es natürlich wunderschön, wie das eben so ist mit den eigenen Babys :)

Ich hoffe, euch geht es genauso.

Die ganze rh:ool-Geschichte gibt’s zum Nachhören im Wollkanal-Podcast